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Gehörlosenkultur

Da Sprache und Kultur einer Gesellschaft untrennbar miteinander verknüpft sind – sie gehören zusammen, wie die zwei Seiten einer Münze – entwickelt sich in der Gehörlosen- und damit Gebärdensprachgemeinschaft zwangsläufig eine Kultur, die sich vor allem im Alltag von der Kultur der Hörenden wesentlich unterscheidet.

Die Gehörlosenkultur wird vor allem von gehörlosen Eltern mit gehörlosen Kindern getragen. Das ist auch innerhalb der Gehörlosengemeinschaft eine sehr kleine Gruppe. Dennoch geht eine große Kraft von diesen Familien aus.

In diesen Familien gibt es kein Sprachproblem – die Kinder wachsen innerhalb der Familie auf wie hörende Kinder von hörenden Eltern. Sie lernen die Sprache der Eltern und können die Gespräche in der Familie verfolgen. Wie hörende Kinder in hörenden Familien lernen sie vieles "so nebenher".

Gehörlose sind in der Kommunikation vor allem auf die visuelle Wahrnehmung und auf ihr Gefühl angewiesen - auf das, was sie sehen und spüren. Ihre Sprache ist die Gebärdensprache, die sich von der gesprochenen Sprache ihrer Umgebung wesentlich unterscheidet. Daher kann die Kultur der gehörlosen Minderheit niemals dieselbe sein wie die der hörenden Mehrheit.

Die Anerkennung der Gehörlosenkultur hängt also direkt mit der Anerkennung der Gebärdensprache als Sprache zusammen.

Für viele Hörende löst die Vorstellung von Gehörlosigkeit zuerst einmal einen Schock aus. Daß es unmöglich ist, das Zwitschern der Vögel, die Lieblingsmusik, das Plätschern des Baches ... zu hören, das ist für Hörende ein großer Verlust an Lebensqualität. Hörende können sich nicht vorstellen, daß Gehörlose das anders empfinden.

Für Gehörlose ist es eigentlich kein Problem, nicht hören zu können. Aber es ist ein großes Problem für sie, daß sich die Sprache ihrer Umgebung aus Lauten zusammensetzt.

Denn dadurch können Gehörlose die Gespräche ihrer hörenden Angehörigen nicht verfolgen. Sie erfahren nicht, was im Radio, bei öffentlichen Veranstaltungen, im Kino oder im Theater gesprochen wird. Paddy Ladd, ein gehörloser Professor an der Gallaudet-University in Washington meint dazu:

"Solange wir nicht als eine Minderheit mit einer eigenen, ausgeprägten Sprache anerkannt sind, wird das Ausmaß unserer Fähigkeiten – im Gegensatz zu unserer Unfähigkeit – verborgen bleiben, genau wie der Gedanke der Gehörlosenkultur überhaupt."

Dieses Zitat ist dem Artikel Paddy Ladds, "Gehörlosenkultur: Sie finden und fördern" [im amerikanischen Original "deaf culture: finding it and nurturing it", erschienen in Deafness Nr. 3,8 (1992), Seite 4-9] entnommen, dessen deutsche Fassung in der Zeitschrift "Das Zeichen" Nr. 24 (1993) auf den Seiten 190-197 abgedruckt ist.