Zurück zur Homepage
Wo bin ich?
Wo bin ich?
Andere Meinungen
Andere Meinungen
Meine Meinung
Meine Meinung


Grammatik der Gebärdensprachen

Die einzelnen Zeichen der Gebärdensprachen bestehen wiederum aus kleineren Bausteinen und können nach bestimmten Regeln (Grammatik) miteinander verknüpft werden. In diesem Punkt sind die Gebärdensprachen mit den Lautsprachen vergleichbar. Gebärdensprachen besitzen demnach:

  1. Bausteine
    Das sind Elemente, aus denen selbständige Zeichen (Gebärden) geformt werden

  2. Zeichen
    Darunter versteht man eigenständige Gebärden

  3. Kombination von Zeichen oder Zeichenteilen
    Das sind Verbindungen von mehreren Gebärden oder Gebärdenteilen

  4. Verben

  5. Bildhaftigkeit (Ikonizität)


1. Bausteine:

In Gebärdensprachen gibt es zwei Arten von Bausteinen:

  • Bausteine, die mit den Händen gebildet werden (manuelle Bausteine):

    - Handform
    Viele Gebärden unterscheiden sich in der verwendeten Handform voneinander. Vergleichen Sie zum Beispiel die beiden österreichischen Gebärden FRAGEN und SAGEN. Da sie sich nur in der Handform unterscheiden, bezeichnet man sie als "minimales Paar".
    Ein Beispiel für ein minimales Paar in der deutschen Lautsprache ist Haus/Maus. Diese beiden Wörter unterscheiden sich nur im ersten Laut. Einzelne Bausteine können also einzelne Wörter bzw. einzelne Gebärden unterscheiden. In gesprochenen Sprachen nennt man solche Bausteine "Phoneme".

    - Handstellung (Handorientierung)
    Mit der Handstellung oder Handorientierung bezeichnet man die Stellung der Handfläche und der ausgestreckten Finger. Einige Gebärden unterscheiden sich nur in der Handstellung voneinander. Zum Beispiel die beiden österreichischen Gebärden SCHIFF und KIRCHE.

    - Ausführungsstelle
    Die Ausführungsstelle beschreibt den Ort, an dem die Gebärde gebildet wird. Gebärden werden normalerweise im Gebärdenraum geformt. Innerhalb dieses Raums können Gebärden entweder vor dem Körper oder am Körper der gebärdenden Person ausgeführt werden.
    Beispiele für Ausführungsstellen am Körper sind: Hinterkopf, Kopfdecke, Stirn, Schläfe, Nase, Wange, Ohr, Mund, Lippe, Unterkiefer, Kinn, Hals, Schulter, Brustbein, Brust, Oberarm, Unterarm, Bauch und Bein.
    Wie die Handform und die Handstellung kann auch die Ausführungsstelle einzelne Gebärden voneinander unterscheiden. Vergleichen Sie zum Beispiel die beiden österreichischen Gebärden MUTTER und MITTAG.

    - Bewegung der Gebärde
    Die Bewegung in Gebärden muß besonders genau beschrieben werden. Es gibt unterschiedliche Bewegungsarten wie gerade Bewegungen, Bogen-, Kreis, Zickzack-, Spiral- Schlängelbewegungen und komplexe Bewegungen. Beispiele für komplexe Bewegungen sind ZUSAMMENKNÜLLEN (Papier) und BINDEN (Schuhe). Die österreichischen Gebärden GURKE und BRAUN unterscheiden sich nur in der Art der Bewegung.

  • Bausteine, die mit dem Gesicht ausgedrückt werden (nichtmanuelle Bausteine):

    - Mimik
    - Gestik
    - Mundbild
    - Kopf- und Körperhaltung

Gesicht und Körper werden sowohl in der Gebärdensprache als auch in der Lautsprache eingesetzt, um verschiedene zusätzliche Informationen mitzuteilen.
Zum Beispiel werden auch Gefühle übertragen. Man kann einen Satz wie "Er ist sehr krank" mit einem sehr ernsten oder traurigen Gesicht aussprechen; mit einem anderen Gesichtsausdruck kann derselbe Satz etwas anderes bedeuten (zum Beispiel dann, wenn er nur so tut, als sei er krank). Solche Informationen werden nicht als Teil der Sprache verstanden, sondern sind nichtsprachlich (nonverbal).

In der Lautsprache können sprachliche und nichtsprachliche Elemente ohne Probleme getrennt werden. Sprachliche Elemente werden mit der Stimme gebildet. Nichtsprachliche Elemente sind Gesichtsausdrücke und Gesten.

In der Gebärdensprache werden sowohl sprachliche als auch nichtsprachliche Informationen teilweise mit Hilfe von Mimik und Gestik transportiert. Dadurch wird die Unterscheidung von "sprachlich" und "nichtsprachlich" schwieriger.

Lautsprachliche Bausteine werden einer nach dem anderen (sequentiell) gebildet: T+R+I+N+K+E+N

Im Gegensatz dazu treten Bausteine von Gebärden vorwiegend gleichzeitig (simultan) auf. In der Gebärde TRINKEN bilden Handform + Handstellung + Ausführungsstelle + Bewegung eine Einheit.


2. Zeichen:

Zeichen sind selbständige Gebärden.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen
einhändigen und zweihändigen Gebärden:

Einhändige Gebärden werden mit einer Hand gebildet (BLUME).
Für zweihändige Gebärden werden beide Hände verwendet (KATZE).

Zeichen können auch aus mehreren Gebärden bestehen, zum Beispiel bei KAFFEE+AUTOMAT. Dieses Zeichen setzt sich aus den freien Gebärden KAFFEE und AUTOMAT zusammen.


3. Kombination von Zeichen oder Zeichenteilen:

Gebärden besitzen oft Teile, die nicht allein stehen können (in der Sprachwissenschaft werden sie als "gebundene Morpheme" bezeichnet). Solche Zeichenteile müssen stets mit selbständigen Zeichen kombiniert werden.

Beispiele für gebundene Zeichenteile in der Gebärdensprache sind Anfang und Ende von bestimmten Verb-Gebärden (Kongruenzverben). Die Gebärde für ein solches Verb beginnt an einem bestimmten Ort (Raumpunkt) und bewegt sich in die Richtung eines zweiten Ortes. Wird zum Beispiel ein Buch an eine zweite Person weitergegeben, dann beginnt die Gebärde bei der gebärdenden Person und endet bei der Person, die das Buch bekommt (ich-GEBEN-dir). Anfangs- und Endpunkt des Verbs verweisen dabei auf die beteiligten Personen.

Gebärden in Gebärdensprachen werden miteinander kombiniert. Die Gebärden werden zeitlich nacheinander gebildet, eine Gebärde folgt der anderen. Beziehungen zwischen den Gebärden werden oft auch durch die Verwendung des dreidimensionalen Raums ausgedrückt. Der dreidimensionale Raum spielt in der Grammatik der Gebärdensprachen eine wesentliche Rolle. Folgendes Beispiel soll zeigen, was darunter gemeint ist:

Sitzt zum Beispiel ein Hund unter dem Tisch, so wird dies so beschrieben: Der Tisch wird mit Hilfe der Gebärde TISCH und einer Zeigegeste in den Raum gestellt (die Zeigegeste - auch Indexgebärde - ist eine "Zeigefingerhand", die sich in verschiedene Richtungen bewegen kann), oder es wird mit einer Zeigegeste auf den Tisch verwiesen. Danach erst wird die Gebärde HUND gebildet. Zwei sogenannte Klassifikatorhandformen beschreiben daraufhin die räumliche Anordnung von Tisch und Hund. In unserem Fall wird jene Hand, die den Hund repräsentiert, unter die andere Hand, die den Tisch darstellt, bewegt. - (Klassifikatorhandformen geben bestimmte Eigenschaften von Personen und Objekten wieder, zum Beispiel ihre Größe, ihre Form, die räumliche Anordnung zueinander, ...).

Gebärdenteile können aber auch simultan (gleichzeitig) miteinander kombiniert sein. Durch die gleichzeitige Realisierung von Bausteinen kann in eine einzige Gebärde eine große Menge an Information gepackt werden. Um denselben Inhalt in gesprochenen Sprachen wiederzugeben, sind oft mehrere Wörter erforderlich.


4. Verben:

Eine große Anzahl grammatischer Informationen kann durch manuelle und nicht-manuelle Modifizierung (Veränderung) der Verb-Gebärde wiedergegeben werden, so zum Beispiel:

  • Subjekt/Objekt der Verb-Handlung

  • Quelle/Ziel der Verb-Handlung

  • Art und Weise

  • Tempus (Zeit) und zeitlicher Aspekt

- Subjekt/Objekt in Verb-Gebärden

Kongruenzverben werden mit dem Subjekt und/oder dem Objekt der Verb-Handlung übereingestimmt.
Bewegungsrichtungen und/oder Handorientierung bestimmen, welche Personen beziehungsweise welche Objekte an einer Handlung beteiligt sind. Im Kongruenzverb ANSCHAUEN ändert sich sowohl die Bewegungsrichtung als auch die Orientierung der Finger. So kann "die gebärdende Person eine zweite Person anschauen" - die Gebärde beginnt in diesem Fall bei der gebärdenden Person und geht in Richtung der zweiten Person. Es kann aber auch "eine zweite Person die gebärdende Person anschauen" - die Hand bewegt sich dann von der zweiten Person hin zur gebärdenden Person.
Diesen Vorgang kann man auch so darstellen:

Subjekt -------------------------> Objekt  
ich ANSCHAUEN er "Ich schaue ihn an"
er ANSCHAUEN ich "Er schaut mich an"

Diese Abbildung zeigt, daß das Kongruenzverb vom Subjekt ausgeht und in Richtung des Objekts bewegt wird. Beispiele für Kongruenzverben aus der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) sind: UNTERRICHTEN, FRAGEN, ANTWORTEN, GEBEN, ZEIGEN ...

Innerhalb der Kongruenzverben gibt es eine Gruppe von Verben, die ein umgekehrtes Kongruenzmuster aufweisen:

Subjekt -------------------------> Objekt  
du EINLADEN ich "Ich lade dich en"
ich EINLADEN du "Du lädst mich ein"

In diesem Fall beginnt das Verb beim Objekt, die weitere Bewegung erfolgt in Richtung des Subjekts. Dasselbe gilt für folgende Verben der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS): NEHMEN, HOLEN, ABHOLEN, AUSLEIHEN, AKZEPTIEREN.

- Quelle/Ziel in Verb-Gebärden

Raum-Verben beschreiben Bewegungen zwischen Quelle (Ausgangspunkt) und Ziel sowie die Position von Personen/Objekten an einem bestimmten Ort (Ziel).
Die Gebärde für das Verb beginnt daher am Ausgangspunkt der Handlung und bewegt sich in Richtung des Ziels. Beispiele dafür aus der ÖGS sind: GEHEN, KOMMEN, BRINGEN, TRAGEN, BEWEGEN.

Quelle -------------------------> Ziel  
A GEHEN B "Ich gehe von A nach B"

Die beiden Raumpunkte A und B werden mit bestimmten Orten in Beziehung gebracht. Dabei handelt es sich entweder um Orte oder um abwesende Orte.

- Art und Weise

- Tempus und zeitlicher Aspekt

(Diese Punkte werden in Kürze ergänzt! Danke für Ihr Verständnis!)


5. Bildhaftigkeit (Ikonizität) in Gebärdensprachen

Viele Gebärden ähnelt wirklichen Objekten. Solche Gebärden werden als bildhaft oder ikonisch bezeichnet. Ein Drittel bis zur Hälfte des Wortschatzes eines erwachsenen Gehörlosen kann als ikonisch beurteilt werden. Klima & Bellugi (1979) unterschieden verschiedene Grade der Bildhaftigkeit:

  • transparent (durchsichtig)
    Die Beziehung zwischen der Gebärde und dem Objekt ist für jeden klar ersichtlich (auch für Personen, die keine Gebärdensprache beherrschen). Zum Beispiel die Gebärde ESSEN (eine Hand, die zum Mund geführt wird).

  • halbtransparent (halbdurchsichtig)
    Die Bedeutung der Gebärde ist nicht offensichtlich. Die Beziehung zum Objekt wird jedoch klar, sobald man die Bedeutung der Gebärde erfährt. Zum Beispiel AUTO (zwei Hände, die ein Lenkrad bewegen), MILCH (Melken einer Kuh), FASCHING (Maske vor Gesicht).

    Nicht nur konkrete Objekte werden in Gebärden abgebildet, auch abstrakte Inhalte, wie zum Beispiel "denken", "Liebe", "Angst" können in Gebärdensprachen ikonisch repräsentiert sein: DENKEN (Finger an Stirn zeigt Ort des Denkens), LIEBE (Hand liegt auf dem Herzen), ANGST (Finger klopfen auf linker Brust).

  • nicht transparent (undurchsichtig)
    Undurchsichtige Gebärden sind keine ikonischen Gebärden. Der Bezug zwischen der Gebärde und dem Objekt ist nicht erkennbar. Durch verschiedene natürliche Prozesse (zum Beispiel die Vereinfachung der Gebärde) nimmt der bildhafte Charakter vieler ikonischer Zeichen mit der Zeit ab.