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Gehörlosenkultur

Sprache und Kultur einer Gesellschaft sind untrennbar miteinander verknüpft – sie gehören zusammen, wie die zwei Seiten einer Münze. – Das ist auch der Grund dafür, daß sich die Gehörlosenkultur der Gebärdensprachgemeinschaft von der Kultur der Hörenden wesentlich unterscheidet.

Die Gehörlosenkultur wird vor allem von der Gemeinschaft der Gehörlosen getragen. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei jenen Familien zu, in denen gehörlose Eltern mit gehörlosen Kindern leben; das ist auch innerhalb der Gehörlosengemeinschaft eine sehr kleine Gruppe. Dennoch geht eine große Kraft von diesen Familien aus. In diesen Familien gibt es kein Sprachproblem – die Kinder wachsen innerhalb der Familie genauso selbstverständlich auf wie hörende Kinder von hörenden Eltern. Ganz natürlich lernen sie die Sprache der Eltern und können die "Gespräche" in der Familie verfolgen. Wie hörende Kinder in hörenden Familien lernen sie vieles so nebenbei.

Gehörlose sind in der Kommunikation vor allem auf die visuelle Wahrnehmung angewiesen - auf das, was sie sehen und spüren. Ihre Sprache ist die Gebärdensprache, die sich von der gesprochenen Sprache ihrer Umgebung wesentlich unterscheidet. Daher kann die Kultur der gehörlosen Minderheit niemals dieselbe sein wie die der hörenden Mehrheit.

Die Anerkennung der Gehörlosenkultur hängt also direkt mit der Anerkennung der Gebärdensprache als Sprache zusammen. Die Österreichische Gebärdensprache ist in Österreich noch nicht als Sprache anerkannt!

Für viele Hörende löst die Vorstellung von Gehörlosigkeit zuerst einmal einen Schock aus. Daß es unmöglich ist, das Zwitschern der Vögel, die Lieblingsmusik, das Plätschern des Baches ... zu hören, das ist für Hörende ein großer Verlust an Lebensqualität. Hörende können sich nicht vorstellen, daß Gehörlose das anders empfinden.

Für Gehörlose ist es eigentlich kein Problem, nicht hören zu können. Aber es ist ein großes Problem für sie, daß sich die Sprache ihrer Umgebung aus Lauten zusammensetzt.

Denn dadurch können Gehörlose die Gespräche ihrer hörenden Angehörigen nicht verfolgen. Sie erfahren nicht, was im Radio, bei öffentlichen Veranstaltungen, im Kino oder im Theater gesprochen wird. Paddy Ladd von der Gallaudet-University in Washington meint dazu:

"Solange wir nicht als eine Minderheit mit einer eigenen, ausgeprägten Sprache anerkannt sind, wird das Ausmaß unserer Fähigkeiten – im Gegensatz zu unserer Unfähigkeit – verborgen bleiben, genau wie der Gedanke der Gehörlosenkultur überhaupt."

(Dieses Zitat ist dem Artikel Paddy Ladds, "Gehörlosenkultur: Sie finden und fördern" entnommen, der in der Zeitschrift "Das Zeichen" Nr. 24/1993 auf den Seiten 190-197 abgedruckt ist.)