Gebärdensprachen
(AS, 05/98)
Die Gebärdensprachen der
Gehörlosen sind natürlich entstandene Sprachen, die in den
Gehörlosengemeinschaften der ganzen Welt verwendet werden [daher sprechen wir hier
auch von "Gebärdensprachgemeinschaft", wenn wir
Gehörlosengemeinschaft meinen; Anm.d.Red.].
Die Gehörlosen verstanden ihre
Gebärden nicht von Anfang an als eine wirkliche Sprache. Die
hörende Gesellschaft hatte ihnen immer wieder eingeredet, daß
nur eine Lautsprache eine richtige Sprache wäre. Vor allem die Bildhaftigkeit (Ikonizität) der Gebärdensprachen wird
oft fälschlicherweise als nichtsprachlich betrachtet. Die
ikonischen Eigenschaften der Gebärdensprache hängen
hauptsächlich mit der Art zusammen, wie Gebärden gebildet
werden.
Der größte Unterschied
zwischen Lautsprachen und Gebärdensprachen ist
folgender:
- Um Lautsprachen zu
verstehen, muß man zuhören
(akustischer Kanal)
- Bei Gebärdensprachen muß
man zuschauen (visueller Kanal)
Während in Lautsprachen Wörter
aus Lauten gebildet werden, werden Gebärden mit Hilfe der
Hände, des Gesichts sowie der Kopf- und Körperhaltung gebildet
("Bausteine"). Diese einzelnen Bausteine
werden - wie in jeder anderen Sprache auch - nach
bestimmten Regeln miteinander verknüpft. Gebärden
entstehen, indem die Hände durch den Gebärdenraum bewegt
werden. Daher kann man Gebärdensprachen auch als räumliche
Sprachen bezeichnen.
Hörende, die die
Gebärdensprache lernen wollen, haben oft Schwierigkeiten, Mimik
und Gestik beim Gebärden wiederzugeben. Das liegt unter anderem
wohl daran, daß Gesichtsausdruck und Mundgestik in der
Lautsprache der hörenden Kultur nur eine geringe Bedeutung
haben.
Der Austausch von
Gebärden findet im Raum statt. Gebärden entstehen,
indem sich die Hände durch den Gebärdenraum bewegen. Auch
Beziehungen zwischen den Gebärden werden oft mit Bewegungen im
Raum dargestellt.
In den letzten Jahrzehnten
beschäftigt sich die Sprachwissenschaft (Linguistik) verstärkt mit der
Erforschung der Gebärdensprachen.
Die Form der
Gebärdensprache ist den Möglichkeiten gehörloser Personen
perfekt angepaßt: Sprechen und Verstehen verlagern sich
von Mund und Ohren zu den Händen und Augen der Sprecher/innen.
Gesicht, Kopf- und Körperhaltung, sowie Mimik, Mundgestik und
Mundbild spielen in den Gebärdensprachen eine wichtige Rolle.
Wie Lautsprachen auch gibt es in
den Gebärdensprachen verschiedene Dialekte und
regionale Varianten. Die Österreichische
Gebärdensprache (ÖGS) kennt zum Beispiel die Kärntner
Gebärdensprache, die Steirische Gebärdensprache, die
Oberösterreichische Gebärdensprache, und so weiter. Die
Übereinstimmung in all diesen Varianten ist jedoch so hoch, daß
sich Gehörlose verschiedener Regionen und Bundesländer gut
miteinander verständigen können.
Die ÖGS im Sinne einer
überregionalen Einheitssprache gibt es noch nicht. Eine
solche Entwicklung ist durch die Verbreitung einer Variante über
die visuellen Medien und durch den Einsatz überregionaler
Gebärdensprachkurse zu erwarten. Die Unterschiede
zwischen den einzelnen Varianten betreffen hauptsächlich den
Wortschatz und weniger die Grammatik.
Ein Problem, das vor allem für
seine Tauglichkeit im Alltag noch immer nicht gelöst ist, ist
die schriftliche Darstellung von Gebärden. Es
gibt zwar verschiedene im wissenschaftlichen Bereich entwickelte Schriftsysteme,
im Alltag hat sich bisher keines von ihnen wirklich durchsetzen
können.
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